Felicia Zeller erhält den Hermann-Sudermann-Preis für Dramatiker

Nachfolgend können Sie die Laudatio auf Felicia Zeller nachlesen, gehalten von Gerhard Jörder – Theaterkritiker, Juror und nicht zuletzt auch Moderator der Mülheimer Theatertage – in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin am Freitag, den
7. Juni 2013.

John von Düffel im Autorengespräch mit Felicia Zeller © Angelika Fischer

 

 

Gerhard Jörder © Angelika Fischer

 

 

Felicia Zeller und Karen Bork bei der Preisverleihung © Angelika Fischer

 

 

Liebe Felicia Zeller,

sehr verehrte Preisstifter,

sehr verehrte Anwesende,

liebe gestresste Mitmenschen,

liebe von Termin-Engpässen und Leistungsdruck geplagte und gejagte Zeitgenossen,

ich grüße Sie alle, uns alle, die wir unter der fatalen Hektik unserer Alltags- und Arbeitswelt leiden und uns dennoch mit all dem arrangiert haben, weil wir glauben, man könne ohnehin nichts dran ändern (es ist eben, wie es ist…)…

meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie fühlen sich jetzt ausnahmslos alle angesprochen im Saal, ich wollte wirklich niemanden übergehen…

„Ich liebe die Herausforderung. Und ich habe Erfolg. Und ich zahle den Preis dafür.“ Das waren die letzten Worte des Stücks, das wir soeben gesehen und erlebt haben. Gesprochen hat sie die Jungunternehmerin Anne Holz, bevor sie sich, so dürfen wir vermuten, mit Vehemenz wieder auf ihren Jogging-Parcours warf, Pulsmesser am Handgelenk, Knopf im Ohr, das i-Phone um den Hals…

Meine Damen und Herren, ich kenne kein Stück aus dieser Saison, in dem sich so viele Menschen so prompt und so umstandslos wiedererkannt haben. „Ja, das ist mein Leben“, sagte eine bekannte, vielbeschäftigte Schauspielerin nach der Aufführung bei den Mülheimer Theatertagen. Und ein Regisseur lachte: „Die Autorin meint wohl mich.“ Bei zwei Publikumsgesprächen, die ich in Mülheim im Anschluss an die Vorstellungen moderierte, haben sich ganz unterschiedliche Zuschauer immer wieder ganz ähnlich geäußert – eine junge Frau schüttelte sich ein bisschen: „Ich hab mich richtig angefasst gefühlt…“

Was aber manche Beobachter auch sagten, habe ich Ihnen bisher unterschlagen. Die gleichen Leute, die Felicia Zellers Stück wegen seiner Zielschärfe lobten, nicht alle, aber auffällig viele – sie  setzten in einem zweiten Satz hinzu: „Aber wir wissen das doch alle selber! Es ist schon tausendmal gesagt worden, nichts daran ist neu – warum sollten wir uns das dann noch einen ganzen Abend lang im Theater anhören…?“

Nicht alle, aber auffällig viele, sagte ich – und  ich gebe zu, dass ich darüber schon ins Grübeln gerate: Welche Mechanismen der Verdrängung, des Nicht-Wahrhaben-Wollens spielen hier mit? Geben wir uns gern gelangweilt, wenn wir konfrontiert werden mit dem Negativen, das wir doch nicht ändern können – oder wollen? Und wer wäre denn schon so naiv zu glauben, er könnte das Tempo, die Arbeitssucht, die Kommunikationswut der modernen Arbeitsgesellschaft aushebeln, stoppen?

Ich muss Ihnen jetzt ein Geständnis machen: Mir ging es beim Anblättern, beim ersten Anlesen dieses Stücks ganz ähnlich wie jenen Zuschauern. Du meine Güte, dachte ich, ist das nicht ein bisschen platt, banal, womöglich unterkomplex, dieses Gerede von Zeitnot, Termindruck, Erfolghabenwollen…? Kennt man doch alles aus dem Effeff, ist doch jederzeit abrufbar beim durchschnittlich aufgeklärten Zeitgenossen, die übliche kulturpessimistische Leier. Und ich erinnerte mich an eine Kritik, die nach der Premiere erschienen war, und fühlte mich von ihr bestätigt: „Die Diagnose des Stücks“, hieß es da, sei ja ‚nicht falsch, aber wenig originell’.“

Ich brauchte noch viele Seiten Text, ja eigentlich eine ganze zweite Lektüre des Stücks, um zu begreifen: Ich war, wie so mancher Zuschauer auch, in eine Falle getappt, in die Felicia-Zeller-Sprachfalle… Denn selbst wenn man die meisten der inzwischen an die 20 Stücke dieser Autorin irgendwann einmal gelesen oder auch gesehen hat, kann es einem immer wieder passieren: dass man diesen eigentümlichen Sound, dieses abgehackte, redundante, panische, zwanghafte, phrasengesättigte und floskelhafte Gerede der Zeller-Figuren kurzschließt und verwechselt mit einem vermeintlich stereotypen Kulturdefaitismus der Autorin selbst. Aber das wäre viel zu simpel.

Felicia Zeller schreibt keine gesellschaftskritischen Leitartikel für die Bühne. Zwar diagnostiziert sie, ja, mit Vorliebe das, was man den Zeitgeist nennt, beobachtet beharrlich solche vom Zeitgeist durchimprägnierte Figuren – wie hier die drei Vertreter der „Generation Beißschiene“, die noch nachts mit den Zähnen knirschen müssen. Es sind Leute wie…

… die junge, flotte Karrierefrau Anne, Verkörperung der modernen Ich-AG, große Worte, kleines Herz, eiskalter Ego-Trip plus gnadenlose Selbstausbeutung…

… oder der Künstler Peter, der seine Kreativitätsblockade, seine Furcht, ausgebrannt zu sein, mit Selbstdarstellungsrhetorik und penetranter Eigenpropaganda kompensiert…

…. oder Holger, der gescheiterte Koch und Caterer, der sich als Verlierer fühlt, sich am Nichtstun abarbeitet und zuletzt einfach abgehängt wird – „wo lebst du eigentlich?“ fragt ihn die eigene Frau…

Mit großer Passion beobachtet Felicia Zeller diese Menschen – aber nie in sozialpsychologischer Absicht. Sie schreibt keine Sozialdramen – sie schreibt Sprachfarcen. Wie Menschen „beim Sprechen scheitern“, das will sie uns zeigen. Wie sie sich in vernutzten Worthülsen, in Plastikvokabeln und Sprachschablonen verirren und verheddern, wie sie ihren Leer- und Flachsprech mittels Hektik und Gestik zu großer Performance, zur pathetischen Selbstinszenierung aufdonnern… Wir haben es gerade an diesem Bildhauer beobachten können, der seine Wortkatarakte als prachtvolle Fassadenkunst verkauft – in Wahrheit aber bibbert er vor Versagensangst…

Und da kann es dann schon passieren, dass wir uns plötzlich in unseren eigenen Ohnmachtsempfindungen erkannt, ertappt fühlen, und dass wir uns wehren gegen das, was doch angeblich jeder von uns bis zum Überdruss weiß und was doch sowieso keiner ändern kann…

Ich will jetzt eine These wagen:  „X-Freunde“, dieses neue Stück der Felicia Zeller, ist auch deshalb so stark und bemerkenswert, weil die Autorin den Mut hat, das Selbstverständliche, uns allen längst Vertraute, die Banalität unserer alltäglichen Lebensnot noch einmal aufzutischen, noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen. „Der Wahnsinn ist, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist“ – das ist für mich der zentrale Satz des Stücks. Nichts Neues also auf dem Rialto, ja, das stimmt, aber es geht hier auch nicht um aparte Neuigkeiten, sondern ums Grundsätzliche unserer Existenz. Wollen wir, im Ernst, so lachhaft weiterleben, ohne Zeit zu haben für uns und für die Menschen um uns herum, ohne Empathie, ohne Mitleidensfähigkeit für Partner und Freunde, immer nur aufs eigene Fortkommen fixiert, immer nur auf dem Sprung zum nächsten Erfolg, immer unter Strom, immer abrufbar, immer öfter als Mensch mit dem eigenen Rechner verwechselbar, immer auf Stand-by – und bei Absturz einfach auf Neustart drücken…

Man kann sich diesem Stück – die ersten Inszenierungen zeigen es schon –  auf sehr unterschiedliche Weise annähern. Man kann es als aufgekratzte Clownerie, als schrillen Comic, als böse, bissige Sprachperformance, aber auch als kalte tragische Farce begreifen. Doch welche Lesarten immer die Regie bevorzugt – das makabre Finale, das Felicia Zeller erdacht hat, darf sie sich nicht entgehen lassen.

Ich gestehe: das hat mir schon beim Lesen die Sprache und das Lachen verschlagen. Da liegt, während unsere Start-up-Unternehmerin schon in fiebriger Hast Terminkollisionen, ICE-Anschlüsse und Konferenzstrategien durchüberlegt, ein regloser Mensch neben ihr im Bett, der eigene Mann, und schläft einfach weiter, der ist ja auch arbeitslos, denkt sie, der weiß ja wirklich nicht, was abgeht in der Welt, soll er halt weiterschlafen – und nach 24 Stunden liegt er immer noch da und macht keinen Mucks, soll er halt weiterpennen, der faule Sack – und erst nach 36 Stunden haben wir, hat Anne bemerkt, dass der Mann tot ist, aha, Schlaftabletten-Abusus, Mensch, der ist ja so blöd, dass er nicht mal einen Beipackzettel richtig lesen kann, und haut sich aus Versehen so eine Überdosis rein…

Aus Versehen? Nein, ein Versehen war es nicht….  Aber Anne hat jetzt den großen Auftrag an Land gezogen…. Der Zeitpunkt seines Todes kam ihr wirklich ungelegen…

Liebe Felicia Zeller, auf die Frage einer Journalistin, ob Sie der Ansicht seien, dass der Autor am deutschsprachigen Theater unterbewertet sei gegenüber der Regie, stimmten Sie kürzlich einen traurigen Abgesang an: „Vielleicht werden wir alle Regisseure werden müssen, wie es etliche Kollegen bereits sind…. Rausgeschmissen aus der Welt der angesagten Teamarbeit wird der klassische Autor mit seiner klassisch verbohrten, eigensinnigen, weltfremden, albernen, aber auch lieblich autonomen Grundkonstitution   schade eigentlich.. Ich habe ihn sehr geliebt… Er (und seine Schriften) waren mir Beweis, dass ich nicht alleine bin…“

Ach, liebe Felicia Zeller, so alleine müssen Sie sich da gar nicht fühlen. Wir sind hier ganz und gar auf Ihrer Seite. Für diesen klassischen Eigensinn, für diese Weltfremdheit – oder sagen wir genauer: für diese Fremdheit in der Welt – lieben wir die Autoren, diese schreibenden Einzelgänger in ihren Rückzugsräumen. Ohne sie können wir uns das Theater gar nicht vorstellen. Stücke, die so viel Eigen- und Hintersinn, Wahrheitswillen und Witz atmen wie die Ihren – auf sie wollen wir unter gar keinen Umständen verzichten.

Nun jedoch wünschen wir „X-Freunden“, dass sie ihren Weg machen, dass sie möglichst viele Regisseure und Ensembles finden und dass sie vielleicht sogar so häufig inszeniert werden wie „Kaspar Häuser Meer“, Ihr bisher erfolgreichstes Stück – das ist mittlerweile schon an die 40 Mal nachgespielt worden!

Ihnen allen aber, uns allen möchte ich zum Schluss noch einmal ins Gedächtnis rufen: Vergessen wir es nicht: Stress ist nur das halbe Leben – die andere Hälfte sollten wir unbedingt für die Themen Zeitnot und Erfolgsdruck reserviert halten… Wie sagt Felicia Zeller? „Der Wahnsinn ist doch, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist.“

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.