„Meine Litauischen Geschichten werden erst an Ort und Stelle richtiges Leben kriegen.“
Zu Hermann Sudermanns literarischer Praxis gehörte es, sich intensiv mit allen Einzelheiten seines Sujets vertraut zu machen. Akribisch trug er Informationen zusammen, sammelte Kenntnisse über das Milieu, recherchierte Sitten und Gepflogenheiten der Leute, bevor er sich ans Schreiben machte. Die Fülle an Informationen war ihm unabdingbare Voraussetzung zur Formung seines Stoffes. Dies belegt auch die profunde Untersuchung von Hans-Claus Poeschel: „Hermann Sudermanns Novelle ‚Jons und Erdme‘. Eine Spurensuche“, die in den Annaberger Annalen über Litauen und Deutsch-Litauische Beziehungen 2010, Nr. 18, erschien.
Poeschel zufolge erwiesen sich der befreundete Dr. h.c. Hugo Scheu sowie Moorvogt Groth, den Sudermann 1916 ausführlich befragte, als auskunftsfreudige Zeitzeugen, welche Sudermann mit detaillierten Informationen über die Kolonie Bismarck versorgten, die, im Memeldelta gelegen, zum Handlungsort von Sudermanns Litauischer Geschichte „Jons und Erdme“ wurde. Wie sehr Sudermann dabei Personen aus dem realen Leben literarisierte, wird an der Gestalt des Arztes deutlich, der Erdme bei ihrer ersten Entbindung beisteht. Hinter dem breiten, schweren Mann, der Stunde um Stunde neben der Kreißenden verbringt und schließlich mit dem Schemel im weichen Moorboden einsinkt, verbarg sich Dr. Arthur Kittel, von 1869-1906 Landarzt in Preußisch-Litauen, dem Sudermann diese aus einer anderen Quelle stammende Episode andichtete. Denn so sehr sich Sudermann auf seine Gewährsmänner im Detail stützen mochte, so eigenständig ging er in der späteren Gestaltung seines Stoffes vor.